Wenn das Telefon klingelt…

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… dann könnte es spannend werden. Zumindest, wenn man sich gerade in einem sogenannten Bereitschaftsdienst befindet. Jedes Crewmember findet früher oder später einen solchen Dienst im Dienstplan, was meist nicht für sonderlich große Freude sorgt. Das heißt, man wird in der Regel für mehrere Tage zu festgelegten Uhrzeiten für die Kollegen der Creweinsatzplanung erreichbar sein müssen und „sitzt“ quasi auf seinem Handy. Sobald man einen Anruf erhalten hat, kann es je nach Art des Bereitschaftsdienstes recht schnell gehen, dass man sich zum Einsatz aufmacht. Dazu später mehr…

Doch warum müssen überhaupt diese Bereitschaftsdienste eingeplant werden? Holen wir mal etwas weiter aus: Unglaublich viel Arbeit fließt kontinuierlich in die Planung von Ressourcen einer Airline, darunter Crews und Flugzeuge, damit diese in hinreichender Zahl, gut ausgebildet bzw. gewartet, bereitstehen, um das von der Fluggesellschaft verkaufte Flugprogramm durchzuführen. Diese Prozesse beginnen bereits Jahre vor der Durchführung eines beliebigen Fluges, wenn sich eine Fluggesellschaft überlegt, welche und vor allem wie viele Flugzeuge eines bestimmten Musters sie betreiben möchte. Mit ähnlich langem Vorlauf muss sich die Firma dann auch überlegen, wie viele Flugbesatzungen sie benötigt, um diese Flugzeuge zu bereedern. Das Ganze gewinnt bei großen Fluggesellschaften nochmals an Komplexität, wenn diese bspw. mehrere Basen betreibt und sich für eine Vielzahl an Flugzeugmustern entscheidet. Mit etwa ein- bis anderthalb Jahren Vorlauf entscheidet die Fluggesellschaft über ihr Flugprogramm. Dem Voraus geht natürlich eine intensive Nachfrageanalyse sowie Netzplanungen für Umsteigeverbindungen und vieles mehr. Da mit einem Jahr Vorlauf in der Regel keine neuen Flugzeuge beschafft und auch keine neuen Crews ausgebildet werden können, muss die Fluggesellschaft hier also mit begrenzten Ressourcen arbeiten. Gibt es mehr lukrative Verbindungen als selbst mit dem akrobatischsten Netzplanungstetris dargestellt werden können, muss man sich für und gegen bestimmte Verbindungen entscheiden. Am Ende kommt dabei beispielsweise heraus, dass es sich lohnt, im kommenden Sommer mehrere tägliche Rotationen zwischen Frankfurt und Budapest anzubieten, wovon die Früheste morgens um 7:10 Uhr den Rhein-Main-Flughafen Richtung Osten verlässt, angedacht hierfür ist ein Airbus A320.

„Fly-by-wire changed my life“ – Abraham Lincoln

Mit dem ausgearbeiteten Flugplan, dessen Bestandteil unsere Frankfurt-Budapest-Verbindung ist, geht die Fluggesellschaft nun an den Markt und startet den Verkauf von Flugtickets. Je nach Nachfrage füllen sich über die nächsten Monate die Buchungsklassen und mehr und mehr Leute freuen sich auf ihre Reise. Überspringen wir eine ganze Zeitspanne, so landen wir im Vormonat des Fluges. Eine überwiegende Zahl der Passagiere hat ihr Ticket bereits erworben, ab jetzt werden hauptsächlich kurzfristig Entschlossene (zu meist teureren Tarifen) noch zur Reise hinzustoßen. Das Fluggerät ist laut Flugplan immer noch ein Airbus A320 und die Planverwaltung der Fluggesellschaft macht sich daran, die Einsatzpläne der Flugbesatzungen für den nächsten Monat zu entwerfen. Hierzu wurden im Vorhinein alle geplanten Flüge in möglichst sinnvolle Ketten von mehreren Flügen aneinandergereiht. Diese Ketten müssen vor allem mit den geltenden Einsatzrestriktionen der Besatzungen konform sein, d.h. maximale Flugdienstzeit pro Tag oder andere Beschränkungen müssen beachtet werden. Am Ende kommt ein Mix aus kurzen Ketten aus nur zwei Flügen und längeren Rotationen von bis zu fünf Tagen mit mehreren Flügen pro Tag heraus. All diese Ketten stehen den Crews jetzt zum „Requesten“ bereit, d.h. in einem abgestimmten Zeitraum des Vormonats können die Crewmember angeben, welche Touren sie gerne fliegen würden und an welchen Tagen sie gerne frei hätten. Hier kommt es natürlich auch zu Interessenskonflikten, die im Sinne der Seniorität geregelt werden (wer länger dabei ist, darf zuerst zugreifen). Anschließend baut die Planverwaltung aus den Requests einen persönlichen Einsatzplan für jedes Crewmitglied der Fluggesellschaft. Die Veröffentlichung dieses Plans ist ein all-monatlich heißersehnter Moment, offenbart er doch endlich, wann man im Folgemonat arbeitet (und vor allem, wann man frei hat). So bekommt auch ein uns unbekannter Co-Pilot der A320 Flotte in Frankfurt eine Kette Mitte des Monats zugeteilt, die mit einem frühen Briefing um 5:50 Uhr beginnt und insgesamt 12 Flüge in drei Tagen umfasst. Der erste Flug der Tour geht nach Budapest. Für mich hingegen lief es diesmal weniger glücklich: für mich soll am selben Morgen eine fünftägige Bereitschaft starten, Beginn 04:30 Uhr.

„Standby ist doof, Fliegen ist toll“ – Konfuzius

Ganz vereinfacht gesprochen haben wir zwei Arten von Bereitschaftsdiensten: Standby und Reserve. Diese Dienste können miteinander kombiniert bzw. durcheinander ersetzt werden, aber das tut hier nichts zur Sache. Ein Standby-Dienst bedeutet, dass wir in der fraglichen Zeit telefonisch erreichbar sein müssen und ab Aktivierung, d.h. ab dem Anruf durch den Creweinsatz, haben wir 90 Minuten Zeit, um zum Dienst zu erscheinen. Ein Reserve-Dienst hat jedoch 12 Stunden Vorlauf, d.h. es bleibt bedeutend mehr Zeit, um noch einen Koffer zu packen und ggf. nach Frankfurt zu fahren.

Im oben genannten Beispiel hatte ich nun eine fünftägige Bereitschaftskette ergattert, die am ersten Tag mit einem Standby-Dienst um 04:30 Uhr begann. Das heißt für mich, der ich bedeutend weiter als 90 Minuten vom Frankfurter Flughafen entfernt wohne, ich muss am Vorabend anreisen. Dann geht es früh ins Bett, ich checke hundertmal, ob das Handy wirklich an ist und gehe schlafen. So wie vermutlich auch der Kollege, der am nächsten Morgen früh nach Budapest aufbrechen soll. Doch ob er sich jetzt noch schnell ein Abendessen bei dieser zweifelhaften Dönerbude um die Ecke geholt hat oder sich mit nassen Haaren in den Durchzug gestellt hat… er meldet sich jedenfalls am nächsten Morgen in aller Frühe krank. Das heißt, die ganze jahrelange Planung, angefangen von der Bestellung des Flugzeuges bei Airbus, über die Ausbildung der Crews, der Netzplanung, der Einsatzplanung, der Wartung des Flugzeuges in der vorigen Nacht… alles droht zu scheitern, denn es fehlt ein Co-Pilot! Doch Rettung naht: Routiniert (und auch ein wenig müde am Ende einer harten Nachtschicht) greift ein Mann in der Einsatzzentrale der Fluggesellschaft zum Telefonhörer und wählt eine Nummer…

„Ring – Ring – Ring“
Verdammt, wo bin ich?
„Ring – Ring – Ring“
Häh, was soll das, sei ruhig!
„Ring – Ring – Ring“
Frankfurt… Hotelzimmer… Du hast Standby… Es kommt alles wieder… Geh ran!
Ring – Ring – Ri…“ – „Hmm…Morgen“ – „Morsche, Creweinsatz, ich hab da was für Sie“

Mein Standby an diesem Morgen dauerte nur eine Minute, um 04:31 Uhr wurde ich vom Kollegen eher unsanft daran erinnert, dass dieser Beruf mehr ist, als entspannt in Kairo am Pool zu liegen. Warum ich nun aus dem Standby gerufen wurde, sollte ich nicht erfahren, die Geschichte von der Krankheit des Kollegen ist aber das wahrscheinlichste Szenario. Die Gründe, um aus der Bereitschaft gerufen zu werden, sind so vielfältig wie die Herausforderungen der Luftfahrt. Neben Krankheit können weitere Gründe sein, dass eine Crew ihre maximale Flugdienstzeit zu überschreiten droht oder wegen schlechten Wetters gegebenenfalls gar nicht von ihrem vorherigen Flug in Frankfurt eintrifft. Für solche Fälle werden nicht nur Crews in Bereitschaft vorgehalten, auch Flugzeuge stehen als sogenannte Operationelle Reserve am Flughafen bereit, um kurzfristig einzuspringen. Ab dem Zeitpunkt des Anrufes hatte ich nun 90 Minuten Zeit, um zum Einsatz zu erscheinen. Da das Briefing um 05:50 Uhr stattfinden sollte, waren hier also schonmal 10 Minuten Verspätung vorprogrammiert, sollte ich meine Vorlaufzeit voll ausnutzen müssen. Der Versuchung in Eile zu verfallen, sollte man hier widerstehen, sondern sich die Zeit nehmen, die man eben braucht, um sicher und fit zum Dienst zu erscheinen… solange man nicht mehr als 90 Minuten braucht. Mein Hotel lag jedoch günstig zum Flughafen, den Koffer hatte ich natürlich gepackt bei mir und Frühstück gibt es um diese Uhrzeit ohnehin nirgendwo, also schaffte ich es an dem Morgen in knapp 60 Minuten auf die Basis. Genug Zeit, um mir vor dem pünktlichen Briefing noch einen Kaffee aus dem Automaten zu lassen. Der Kollege beim Briefing stutzte kurz: „Du kommst aus dem Standby, richtig?“ Aber sonst sollte es auch niemand bemerken, dass spontan jemand anderes vorne rechts Platz nahm. Um 7:08 Uhr, sogar vor unserer geplanten Abflugszeit, verließen wir das Gate in Frankfurt und starteten in unsere drei Tage mit 12 Flügen quer durch Europa.

Hier ist er: der frühe Vogel

2 Kommentare Gib deinen ab

  1. Philipp sagt:

    Danke für den Einblick, gut zu lesen und über „Fly-by-wire changed my life“ – Abraham Lincoln“ musste ich natürlich schmunzeln.

    1. fuechsken sagt:

      Danke Philipp! Es freut mich, dass Du nach so langer Zeit immer noch regelmäßig meine Updates liest 🙂

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